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1.6  Realisierbarkeit

LTI-Systeme, die sowohl kausal als auch stabil sind, nennt man (physikalisch) realisierbar. Kausalität bedeutet y(t)= 0  für t < 0  oder im Bildbereich, daß H(s)  in der rechten ℒ -Halbebene vollständig analytisch ist.24 Stabilität liegt vor, wenn die Impulsantwort h(t)  beschränkt ist (und für t → ∞ verschwindet, vgl. Abschnitt 1.3) oder, bei rationaler Übertragungsfunktion, alle Pole von H (s)  negative Realteile aufweisen. Speziell für quadratisch integrierbare Übertragungsfunktionen25

∫ ∞                ∫ ∞
    |H(jω)|2dω = 2π    h2(t)dt < ∞
 − ∞                − ∞
(1.27)

sind diese Bedingungen mit Hilfe des PALEY-WIENER-Kriteriums prüfbar [PW34, Theorem XII], [Pap62, 10-5], [Ach67, § 82], [Wun62, 3.22], [Wax62].

∫
  ∞ |ln|H(jω-)||
 −∞   1 +ω2   dω < ∞
(1.28)

Die Bedeutung der PALEY-WIENER-Bedingung liegt unter anderem darin, daß es

Man kann sich nun fragen, ob stabile, kausale Minimalphasensysteme mit quadratisch-integrierbarer Übertragungsfunktion bzw. Impulsantwort (nach 1.27) das PALEY-WIENER-Kriterium grundsätzlich immer erfüllen?26

Da die Übertragungsfunktion H(s)  von solchen LTI-Systemen weder Pole noch Nullstellen in der rechten ℒ -Halbebene (und auch nicht auf der jω -Achse) aufweist, gilt 0 < H (ω )< ∞ . Unter dieser Voraussetzung wird die einzige (wesentliche) Singularität des Logarithmus im Koordinatenursprung ausgeschlossen und die komplexe Dämpfung A(s)= − lnH (s) ∈ℂ  in der rechten Halbebene, d. h. für Re s≥ 0  zu einer analytischen Funktion. Aus der Darstellung des komplexen Logarithmus

A(s)= − ln H(s)= − ln|H(s)|− j∡ H(s)+ 2jkπ,   k∈ ℤ

wird ersichtlich, daß ln|H(jω)| den Realteil von A(s)  entlang der imaginären Achse ausmacht.

− ln |H (jω )|= lim Re A(s)= Re A (jω )
             α→0

Definieren wir nun zwei logarithmische (“Gleichrichter”-) Funktionen folgendermaßen:

pict

dann wird A+ (ω )  immer positiv, A− (ω )  hingegen stets negativ sein. Mit

pict

kann man folgende Beweismöglichkeiten in Betracht ziehen:

  1. Sind beide Teilintegrale (Summanden) konvergent, dann wird das PALEY-WIENER-Kriterium bestätigt.
  2. Sollte ein Teilintegral und ein Summenintegral konvergent sein, dann muß es das andere Teilintegral auch (und das PALEY-WIENER-Kriterium ist ebenfalls verifiziert).

Nach Voraussetzung (1.27) ist |H(jω)| quadratisch integrierbar, wodurch sich (mit der Ungleichung x > ln x ) folgende Relationen für die positiven Werte von ln|H (jω )| ergeben:

    ∫ ∞               ∫ ∞             ∫ ∞ A+(ω )
∞ >     |H(jω )|2dω > 2    A+ (ω )dω >  2    -----2dω.
     −∞                −∞              −∞ 1+ ω

Damit ist die Konvergenz eines Teilintegrals schon nachgewiesen und es bietet sich an,27 einen Existenzbeweis für das (analytisch einfach behandelbare) Summenintegral

∫ ∞ ln|H (jω )|      ∫ ∞  A(ω)
   --1+-ω2--dω = −     1+-ω2-dω < ∞
 −∞                 −∞

zu erbringen. Dazu gehen wir in die komplexe ℒ -Ebene über

∫ ∞              [   ∫ ∞              ]     [  ∫ j∞         ]
   -A(ω-)dω =  Re − j      A-(jω-)d(jω ) = Re  − j     -A(s) ds
 −∞1 + ω2             ω=−∞ 1+ ω2                s=−j∞1 − s2
(1.29)

und zerlegen das rechte Integral wiefolgt:28

∫ j∞             ∫ j∞           ∫ j∞
    -A(s) ds= 1-    A-(s)ds−  1-   A-(s)ds.
 −j∞1 − s2     2  −j∞ s+ 1     2 −j∞s− 1

Die beiden Teilintegrale können nun durch Kurvenintegration auf dem halbkreisförmigen (rechts liegendem) Weg nach Abbildung ?? bestimmt werden. Die Rechnung soll an dieser Stelle jedoch nicht durchgeführt werden, statt dessen die bekannten Ergebnisse aus der Funktionentheorie zur Anwendung kommen:

Einsetzen der letzten beiden Ergebnisse in Zwischenformel 1.29 zeigt, daß für stabile, kausale Minimalphasensysteme das Integral

∫
  ∞ ln-|H-(jω-)|
 −∞  1+ ω2  dω  = πRe A(1)= π ln|H(1)|
(1.30)

konvergiert.