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1.4  Kausalität

Für Systeme der realen Welt kann man grundsätzlich davon ausgehen, daß es eine Wirkung vor der Ursache ausgeschlossen ist. Man fordert deshalb von einem so charakterisierten LTI-System, daß für t < 0  das Ausgangssignal y(t)  verschwindet. Aus systemtheoretischer Sicht kann eine derartige Einschränkung an die Zeitfunktion nicht ohne Einfluß auf die Bildfunktion der FOURIER- bzw. LAPLACE-Transformation bleiben. Welche Forderungen an die Transformierte eines kausalen Signals y(t)  unter dieser Bedingung zu stellen sind, soll im Folgenden ermittelt werden.

1.4.1  ℱ -Bildfunktion

Der geradlinigste Ansatz formuliert das Verschwinden des Signals y(t)  für t < 0  durch die Äquivalenz

u(− t)y(t)≡ 0.

FOURIER-Transformation dieser (notwendigen, für realisierbare Systeme nicht hinreichenden) Bedingung in den Bildbereich führt mit Hilfe des Faltungssatzes          o--o
f1(t)f2(t)    F1(jω )∗F2(jω )∕2π sowie der Korrespondenz     o--o
u(t)    π δ(ω )+ 1∕jω zu:6

Y(jω )  [           1]   1 [         1        ]
-----∗  πδ(− ω) +j--  = -- Y(jω )+ j---∗ Y(jω ) = 0.
 2π               ω     2          πω

Separiert man Real- und Imaginärteil, dann muß für ein kausales Signal

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gelten. Umstellen nach Re Y(jω )  und Im Y(jω)  ergibt folgende Zusammenhänge:

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Real- und Imaginärteil der FOURIER-Transformierten eines kausalen Signals sind also wechselseitig über die HILBERT-Transformation
           1    ∫ ∞ f(ξ)      1
ℋ {f(x)} = πV.P. −∞ x−-ξ-dξ = πx-∗f(x)

verbunden [PP02, 9], [Mar95, 5.1], [Fri85, 4].7

Ein anderer, aber sehr einfacher Ansatz geht davon aus, daß grundsätzlich jede Zeitfunktion in eine gerade und eine ungerade Teilfunktion y(t) = yg(t)+ yu(t)  zerlegt werden kann [Pap62, 10-2], [Fri85, 4.1]. Dann gilt wegen y(− t) = yg(t)− yu(t)  bei Addition und Subtraktion beider Formeln:

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d. h. beide Teilfunktionen sind von y(t)  und deshalb auch wechselseitig abhängig.8 Im speziellen Fall eines kausalen Signals, d. h. y(t)= 0  für t < 0  bzw. y(− t)= 0  für t > 0  kann folgendermaßen vereinfacht werden:

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Hieraus läßt sich die Abhängigkeit zwischen geradem und ungeradem Anteil von y(t)  direkt ablesen.

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Berücksichtigt man jetzt noch die Eigenschaft der FOURIER-Transformation reeller Zeitfunktion, nämlich daß der gerade Anteil von y(t)  mit dem Realteil der Bildfunktion Y(jω)  , der ungerade Teil hingegen mit dem Imaginärteil korrespondiert (vgl. ??), so führt Anwendung des Faltungssatzes f1(t)f2(t)o--oF1(jω )∗F2(jω )∕2π sowie der Korrespondenz sgn(t)o---o2∕jω zum bekannten Ergebnis:

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1.4.2  ℒ -Bildfunktion

Nehmen wir als Ausgangssituation der Betrachtungen in der LAPLACE-Ebene an, daß die Transformierte Y (s) = ReY (s)+ jIm Y(s)  des reellen Signals y(t)  in der rechten Halbebene vollständig analytisch sei, d. h. dort weder Singularitäten (also auch keine Pole) noch Sprünge hat. Aus der Funktionentheorie ist bekannt, daß sich eine solche Funktion (unter der Bedingung lims→ ∞Y (s) = 0  , vgl. Abschnitt ?? oder [Pap62, 10-5]) für Re s> 0  vollständig durch ihre Randwerte auf der imaginären Achse definiert [BC03, 119].9

         ∫
       1-- ∞ Y-(jΩ-)
Y(s)=  2π − ∞s− jΩ dΩ,    Re s> 0
(1.12)

Aus demselben mathematischen Gebiet entstammen auch die folgenden Ausdrucksmöglichkeiten, welche für Res > 0  die Rückgewinnung der Funktion nur aus dem Real- oder Imaginärteil ermöglichen.

         ∫ j∞              ∫ j∞
Y(s)= -1     ReY-(Ω-)dΩ =  1-    Im-Y(Ω-)dΩ
      πj  −j∞  s− Ω        π − j∞  s− Ω
(1.13)

Zur Rücktransformation der letzten Darstellung in den Zeitbereich wenden wir jetzt den Faltungssatz der LAPLACE-Transformation (F1∗F2)(s)= ∫j∞ F1(Ω)F2(s− Ω )dΩ o---o2πjf1(t)f2(t)
             −j∞  an [AS72, 29], wobei         −1
F2(s)= s  und F1(s)= Re Y(s)  bzw. F1(s)= jIm Y(s)  gesetzt wird.
           {  }
         −1  1    − 1                −1
y(t)= 2 ℒ     s- ℒ    {F1(s)} = 2u(t)ℒ    {F1(s)}
(1.14)

Diese Beziehung enthält das wesentliche Resultat: wegen der Multiplikation mit dem Einheitssprung u(t)  verschwindet das Signal y(t)  für t < 0  (Kausalität), wenn Y (s)  in der gesamten rechten Halbebene analytisch ist.10

Die Aussage führt zu einer wesentlichen Forderung an die Übertragungsfunktion eines LTI-Systems (wenn y(t) = h(t)  und demzufolge Y(s)= H (s)  gesetzt wird), nämlich daß eine rationale ℒ -Übertragungsfunktion H (s)  keine Pole in der rechten Halbebene besitzen darf.

1.4.3  Schlußfolgerungen

Anhand der vorangegangenen Ausführungen wurde deutlich, daß ein kausales Signal (bzw. die Impulsantwort eines LTI-Systems) unbedingt mit einer Abhängigkeit zwischen Real- und Imaginärteil der Bildfunktion (über die HILBERT-Transformation) verbunden ist. Aus der Funktionentheorie entstammte die weiterreichende Erkenntnis, daß ein solcher Zusammenhang immer dann gegeben ist, wenn sich das Signal in der rechten ℒ -Halbebene als frei von Singularitäten darstellt. Für die Übertragungsfunktion eines LTI-Systems hat deshalb die Lage der Pole entscheidende Bedeutung nicht nur in Bezug auf die Stabilität sondern auch auf die Kausalität der Impulsantwort und damit die Realisierbarkeit.

Was die kausalen Signale angeht, so kann man aufgrund der Abhängigkeit zwischen Real- und Imaginärteil noch redundanzfreie Darstellungen ableiten [Bra03, 13]:

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Durch Anwendung des Faltungssatzes und (wieder) der Transformation für den Einheitssprung sowie ∫ ∞ δ(ω − Ω) Re[Y (jΩ )]dΩ = Re Y(jω)
 − ∞  auf

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erhält man für die Zeitfunktion

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Sollte   −1
ℱ   {Re Y(jω )} für t = 0  verschwinden, dann ist es also ausreichend nur eine Komponente, entweder Real- oder Imaginärteil, zur Beschreibung des Signals y(t)  heranzuziehen.11

         − 1                −1
y(t)= 2ℱ    {ReY (jω )} = 2jℱ   {Im Y(jω)}.
(1.15)

Die jeweils andere Komponente ist faktisch redundant, was solche Transformationen wie die Cosinus- oder Sinus-Transformation rechtfertigt [Wun62, 3.2], [Sto92, 5.1.2]. Diese ergeben sich (bis auf einen konstanten Faktor) sofort aus Formel 1.15, wenn man die Symmetrieeigenschaften der trigonometrischen Funktionen berücksichtigt.

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In gleicher Art und Weise können auch die Ausführungen für die LAPLACE-Transformierte F1(s)  von Seite 23 fortgesetzt werden. Denn gehorcht   −1
ℒ   {F1(s)} der Bedingung nach Gleichung 1.14 “von Hause aus”, d. h. verschwindet für t < 0  , so wird wegen des Wegfalls des jetzt unnötigen Faktors u(t)  das kausale Signal y(t)  vollständig durch den Real- oder Imaginärteil seiner LAPLACE-Transformierten beschrieben.

y(t) = 2ℒ −1{Re Y(s)}= 2jℒ − 1{Im Y (s)}
(1.16)

1.4.4  Integralsätze

Berücksichtigt man die Eigenschaften der FOURIER- bzw. LAPLACE-Transformierten reeller Zeitfunktionen, so lassen sich für die Übertragungsfunktion von kausalen LTI-Systemen zahlreiche Darstellungsformen angeben, die oftmals als Integralsätze von BODE bezeichnet werden [Bod45], [Mar95, 5.1], [Pap62, 10.], [SBG97, 2.3.2].

1.4.4.1 Real-/Imaginärteilbeziehungen in der ℒ -Ebene

Eine erste Betrachtung dazu (die etwas ausführlicher erfolgt), geht von Formel 1.12 aus und erweitert zunächst den Integranden mit s +jΩ  .

            ∫
          1-- ∞ (s+-jΩ)H-(jΩ-)
H (s)  =   2π − ∞   s2+ Ω2    dΩ
          1 ∫ ∞ sH (jΩ )      j ∫ ∞ ΩH (jΩ )
      =   ---   -2----2dΩ + ---    -2---2-dΩ.
          2π − ∞s + Ω       2π  −∞ s + Ω

Bedenkt man nun, daß:

so ergibt sich im ℒ -Bildbereich:

        ∫ ∞
H(s)= 1-    sRe[H(jΩ-)]−-ΩIm-[H-(jΩ-)]d Ω,    Re s> 0.
      π  0          s2+ Ω2

Eine weitere Darstellung, der allerdings keinerlei Annahmen in Bezug auf die Zeitfunktionen zugrunde liegen, kann ausgehend von 1.13 gewonnen werden [Wun62, 3.13]. Dazu addiert und subtrahiert man einfach Re H(s)  im Zähler des Integrals
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und nimmt die für Re s> 0  geltende Beziehung ∫j∞
 −j∞ (s− Ω )−1dΩ = jπ zu Hilfe.

                 1∫ j∞ Re[H(Ω )]− Re[H (s)]
H(s)= Re [H (s)]+ πj     ------s−-Ω--------dΩ
                   − j∞

Bringt man noch Re H(s)  auf die linke Seite, so kann direkt eine neue Variante der Abhängigkeitsdarstellung zwischen Real- und Imaginärteil gewonnen werden.12

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1.4.4.2 Real-/Imaginärteilbeziehungen auf der jω -Achse

Auf der imaginären Achse gilt (für Systeme mit lim ω→∞ H(jω) = 0  , vgl. Abschnitt ??) die aus der Funktionentheorie bekannte Beziehung:

                           ∫ ∞
H(jω )= H (jω )∗ -1--= 1-V.P.    H(jΩ)d Ω.
               jω π   πj     −∞ ω − Ω
(1.17)

Mit dem Ziel den Nenner des Integranden zu einer geraden (oder ungeraden) Funktion zu machen, soll uns ω +Ω  als Erweiterung dienen.

        1     ∫ ∞ (ω +Ω )H (jΩ )
H(jω) = --V.P.    ----2----2---dΩ
        πj     −∞    ω − Ω

Dabei verschwinden die Integrale über ω ImH (jΩ )  und Ω ReH (jΩ )  , da es sich bezüglich Ω  um ungerade Funktionen handelt.

              ∫
H (jω )= -2 V.P. ∞ ω-Re[H(jΩ)]+-jΩ-Im[H-(jΩ-)]dΩ
        πj     0          ω2 − Ω2
(1.18)

Für den Real- und Imaginärteil kann man nun direkt ablesen (vgl. auch [Pap62, 10-2], [Mar95, 5.1], [Wun62, 3.13]):13
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1.4.4.3 BODE’s Real-/Imaginärteilbeziehungen

Oftmals sind in der Literatur Darstellungen zu finden, in denen H (jω )  auch auf der rechten Seite im Integranden auftaucht und die letztlich auf [Bod45] zurückgehen [Pap62, 10-2], [Wun62, 3.14], [Spǎ73, 6.4].14

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Offensichtlich kann aber der Term mit H (jω )  aus dem Integral herausgezogen werden, da er nicht von der Integrationsvariable Ω  abhängt. Unsere Aufmerksamkeit soll deshalb dem Integral ∫
 ∞0 2ω ∕(ω2 − Ω2)dΩ  gelten,15 dessen CAUCHY’scher Hauptwert sowohl anschaulich als auch im Hinblick auf dessen Stammfunktion   |   |
ln |ωω+−ΩΩ| verschwindet [AS72, 3.3.23].16
    ∫                   ∫                       |      |Ω →∞
      ∞ --2ω----          ∞---1--   --1---      ||ω-+-Ω-||
V.P. 0  ω2− Ω2 dΩ = V.P. 0 Ω + ω −  Ω− ω dΩ = ln|ω − Ω |Ω=0  = 0

Beide Beziehungen entsprechen folglich den Formeln 1.19 und 1.20, nutzen also nur die Äquivalenz:

   ∫ ∞                           ∫ ∞
V.P.   2ω-H(jω)dΩ =  2ωH (jω )V.P.   --dΩ----= 0.
    0  ω2 − Ω2                    0 ω2 − Ω2

1.4.4.4 Systeme mit H(∞) ⁄= 0

Für LTI-Systeme mit der Eigenschaft

|ls|im→∞ H(s)⁄= 0,
Res>0

aber mit beschränkter ℱ -Übertragungsfunktion |H (∞)|= lim |s|→ ∞|H (s)| , wie für rationale Übertragungsfunktionen in Abschnitt 1.3 betrachtet, kann man nicht auf JORDAN’s Lemma zurückgreifen. Aus diesem Grund sind alle vorangegangenen Aussagen derart anzupassen, daß der im Unendlichen verlaufende Integrationsweg (nach Abbildung ??) bei der Anwendung von CAUCHY’s Integralformel berücksichtigt wird [Wun62, 3.12], [Pap62, 10-2]. Den allgemeinen Fall einer, in der rechten Halbebene analytischen Funktion, muß man deshalb folgendermaßen korrigieren:

          ∫ j∞               ∫
H(s)=  -1-    H-(Ω)dΩ − -1-    H-(Ω-)dΩ.
       2πj −j∞s− Ω      2πj  C∞s− Ω
(1.23)

Betrachten wir zuerst den Integrationsweg C∞ und bringen die Substitution Ω − s= r ejθ  mit         jθ
dΩ = jre  dθ zur Anwendung.

∫   H(Ω )       ∫  H (Ω)           ∫ π2
    -----dΩ = −    -----dΩ = − jlim     H (rejθ − s)dθ
  C∞ s− Ω         C∞Ω − s        r→∞ − π2

Unter der Maßgabe r → ∞ kann man sicherlich |Ω |≫ |s| annehmen, d. h. Ω− s ≈ Ω  setzen.

∫  H(Ω )           ∫ π2
   -----dΩ = − jlir→m∞  π H(rejθ )dθ
 C∞ s− Ω             −2

Außerdem ist wegen der (für reelle Zeitfunktionen immer geltenden) Relation

H (s∗) = H∗(s),

eine Beschränkung des Integrationsweges auf einen positiven Viertelkreis möglich.

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Letzter Ausdruck weist nun eindeutig darauf hin, daß es sich bei dem Integral entlang C∞ um eine rein imaginäre Konstante handelt, welche für r → ∞ sowohl allgemein als auch speziell auf der reellen Achse (θ = 0  , Res→  ∞ ) nicht notwendigerweise verschwinden muß.

Zurück zur Ausgangsbeziehung 1.23 erhalten wir durch Einsetzen

          ∫ j∞                ∫ π
H (s) = -1-     H(Ω-)dΩ + 1-lim   2Re H(rejθ)dθ
       2πj − j∞ s− Ω      π r→ ∞ 0

und stellen fest, daß sich der Realteil17 von H (s)  um den konstanten Betrag

            ∫  π
H(∞ )= 1-lim    2ReH (rejθ)dθ
       π r→∞ 0

erhöht.18 Aus diesem Grund ändert sich z. B. Formel 1.12 wiefolgt:

          ∫
H (s) = 1--  ∞ H(jΩ-)dΩ + H(∞ ),
       2π  −∞ s− jΩ

d. h. der Realteil kann bei solchen Systemen nur bis auf eine Konstante aus dem Imaginärteil bestimmt werden [Pap62, 10-2]. Umgekehrt bleibt die Abhängigkeit nach Beziehung 1.11 jedoch bestehen, so daß sich die neue Gesamtsituation folgendermaßen darstellt:19
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