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2.6  Bessel-Tiefpaß

Der BESSEL- bzw. THOMSON-Tiefpaß ist vom Syntheseansatz her kein System mit dem Ziel der Selektion von Frequenzanteilen (wie die vorangegangen Filter), sondern eher als verzerrungsarmes Übertragungssystem zu verstehen. Approximiert wird dabei die Übertragungsfunktion H(s)  eines idealen LTI-Systems bzw. dessen linearen Phasengang [Tho49Sto51].

δ (t− t0)o-o H (s)= e− st0 ⇒ e−jωt0

Die Verzögerungszeit t0  ignorierend konzentrieren wir uns zuerst auf die Darstellungsmöglichkeiten der Exponentialfunktion ex  durch Hyperbelfunktionen

ex = sinh x+ cosh x

und deren Reihenentwicklungen.

                    2    4   6
                1+ x- + x-+ x- +⋅⋅⋅
cothx = coshx = ---2!3---4!5--6!7-----
        sinh x   x+ x- + x-+ x-+ ⋅⋅⋅
                    3   5!  7!

Bricht man die Reihen für sinhx und coshx nun einfach nach einer beschränkten Anzahl von Gliedern ab, dann

Besser ist an dieser Stelle eine Kettenbruchentwicklung – mit den vorteilhaften Eigenschaften:

Durch eigene Rechnung oder Verwendung eines geeigneten Nachschlagewerks erhält man aus der Reihenentwicklung den folgenden Kettenbruch des hyperbolischen Cotangens:

cothx = 1+ ------1------.
        x   3      1
            -+ ----------
            x  5-  --1---
               x + 7
                   -+ ⋅⋅⋅
                   x
(2.30)

Bricht man diese Entwicklung nach n Schritten ab, so kann man daraus eine rationalen Bruch cothx ≈ Pn∕Qn  bestimmen. Durch vollständige Induktion kann verifiziert werden, daß Zähler und Nenner den Rekursionsformeln

pict

gehorchen.25 Berücksichtigt man die Anfangswerte P0  , Q0  , P−1  und Q− 1  , dann lassen die Formeln sofort erkennen, daß das Zählerpolynom Pn  nur gerade Potenzen von x enthält, das Nennerpolynom Qn  dagegen alle Ungeraden.

Kommen wir nun zurück zur Approximation von ex  und interpretieren Pn  und Qn  als Näherung für Zähler und Nenner in

       coshx   Pn-
cothx = sinhx ≈ Qn

und in Konsequenz als Summenterme in der Exponentialfunktion

ex = coshx+ sinhx≈ Pn +Qn = (2n − 1) (Pn−1+ Qn −1)+ x2(Pn−2 + Qn−2).

Die Summe (und gleichzeitig Berechnungsvorschrift auf der rechten Seite) nennt man BESSEL-Polynom vom Grad n .

pict

Die ersten BESSEL-Polynome sind demzufolge
pict

Mit der so gewonnen Näherung für ex  kann man als Übertragungsfunktion des verzerrungsarmen Systems

H(s)=  -b0--= -----------b0----------
       Bn(s)  bnsn+ ⋅⋅⋅+b2s2+ b1s+ b0
(2.32)

angeben, wobei b0  nur zum Zwecke der Normierung auf H(0)= 1  hinzugefügt wurde. Da in der Kettenbruchentwicklung des Quotienten Pn∕Qn  nach Formel 2.30 alle linksseitigen Summanden (2n− 1)∕s positive Koeffizienten (2n − 1  ) haben, handelt es sich bei Bn(s)  wirklich um ein HURWITZ-Polynom [Cau54, VIII-15b], [Fri79b, 3.1.3], [Che95, 44.5].26

Einen typischen Frequenzgang nach Gleichung 2.32 zeigt Abbildung 2.8. Recht gut zu erkennen ist dabei der relativ lineare Phasengang, welcher sich im Nullpunkt als maximal flache Gruppen- bzw. Signallaufzeit präsentiert.


PIC (a) Amplitudengang PIC (b) Phasengang

Abbildung 2.8: Typischer Frequenzgang eines BESSEL-Filters (n = 4  )