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5 Satz von LIOUVILLE

LIOUVILLE’s Satz soll hier, etwas anders als z. B. in [WW27, § 5⋅63  ], in drei Schritten hergeleitet werden.

  1. Soll uns die Frage beschäftigen, ob man eine Supremum (kleinste obere Schranke) für den Betrag des Kurvenintegrales ∫
 C f(z)dz angeben kann. Dazu gehen wir davon aus, daß f (z)  auf dem Integrationsweg C analytisch und mit supz∈C|f(z)|=  M < ∞ beschränkt ist. Liegen also auf C keine Singularitäten, dann gilt folgende Ungleichung [BC03, 37]:
    |        |
||∫ z2     ||   ∫ b          ∫ b          ∫ b
|z1 f(z)dz| ≤  a |f(z)||dz|≤  a M |dz|= M  a |dz|.

    Geht man der besseren Vorstellung halber von einem Integrationsweg in Parameterdarstellung aus, d. h. z1 = φ(a)  und z2 = φ (b)  , dann ist

      ∫          ∫  |       |      ∫  ∘ (---)2---(---)2
M   b|dz|=  M  b ||dx+ jdy||dt = M  b    dx   +   dy  dt,
   a          a |dt   dt|       a     dt       dt

    wobei letzter Ausdruck genau die Bogenlänge L der Kurve C darstellt. Ist f(z)  wie vorausgesetzt auf dem gesamten Integrationsweg analytisch und beschränkt, dann gilt für den Betragswert des Integrals [WW27, § 4⋅62  ], [BC03, 41]:

    |        |
|∫       |
|| Cf(z)dz||≤ L ⋅M = Lsup |f(z)|.
                     z∈C
    (31)

  2. Sei CAUCHY’s Ungleichung für den Betrag der n− ten Ableitung von f(z)  an der Stelle z0  von Interesse [WW27, § 5⋅23  ]. Wir gehen dabei von Beziehung 17, also einem kreisförmigen Integrationsweg mit Radius r um z0  , aus um deren Wert (bzw. obere Grenze) zu bestimmen.
    |      |       ||∫ 2π (        )        ||
||f(n)(z0)|| = -n!n||    f  z0+ rejθ  e− jnθ dθ ||
           2πr   0

    Anwendung von Ungleichung 31 führt mit der Länge L = 2π und der Abkürzung M  = sup|z−z0|=r|f (z)| zu

    |∫                     |
||  2π  (      jθ) −jnθ   ||           ||  (      jθ)  −jnθ||
| 0  f z0+ re   e    dθ|≤  2π0≤sθu≤p2π|f  z0+ re   e   |= 2π M

    und damit direkt weiter zur Relation

    |      |
||f(n)(z0)||≤  M-n!.
            rn
    (32)

  3. Bleibt nur noch der Satz von LIOUVILLE selbst, welcher nach [WW27, § 5⋅63  ] folgendermaßen lautet:

    Sei f(z)  analytisch und beschränkt mit |f(z)|≤  M < ∞ für alle z∈ ℂ  (sogar für z→  ∞ , also eine ganze Funktion), dann ist f(z)  eine Konstante.

    Der Beweis steckt in Ungleichung 32, denn dort heißt es für n= 1

    ||df(z)||   M
||----|| ≤ --.
  dz     r

    Läßt man nun r → ∞ gehen um die gesamte komplexe Ebene einzuschließen, so gilt (unter der wesentlichen Voraussetzung, daß f(z)  überall beschränkt sei):

    ||     ||
||df-(z)||=  0,
   dz

    d. h. f (z)  ist konstant.

    Interessant ist im Umkehrschluß, daß jede nicht-konstante analytische Funktion Singularitäten besitzen muß. Ansonsten wäre sie entweder nicht beschränkt oder nicht analytisch, würde also die Voraussetzungen nicht erfüllen.

Noch zwei Bemerkungen zum Satz von LIOUVILLE, die seine Bedeutung unterstreichen sollen:

  1. In Ungleichung 32 steckt für n = 0  das sogenannte Maximumprinzip nach [Cau54, II-6]:
    |f(z0)|≤   sup  |f(z)|,
        |z−z0|=r

    d. h. der Betrag des Funktionswertes im Punkt z0  ist immer kleiner oder gleich dem größten Betragswert von f(z)  auf dem Kreis mit (irgendeinem) Radius r um z0  .

  2. Der Beweis des Hauptsatzes der Algebra, daß jedes Polynom p(z)  mit komplexen Koeffizienten mindestens eine Nullstelle in ℂ  haben muß, ist mit seiner Hilfe sehr elegant möglich. Denn hätte die Funktion 1∕p(z)  nirgendwo einen Pol (auf ℂ  uneingeschränkt analytisch), dann wäre sie überall beschränkt. Nach LIOUVILLE müßte es sich bei 1∕p(z)  also um eine Konstante handeln, was der Voraussetzung widerspricht, daß p(z)  ein nicht-konstantes Polynom ist [FB00, II-3].